Berlin, Billy Wilder und Coca‑Cola

Billy Wilders „Eins, zwei, drei“ verblüfft uns auch nach bald 60 Jahren noch mit seinem enormen Drive. Er zeigt uns, wie Humor Grenzen und Schicksale überwinden kann. Ein Klassiker

15/12/2016

1961, im Jahr des Mauerbaus, kam „Eins, zwei, drei“ von Billy Wilder ins Kino, die heißeste Komödie über den Kalten Krieg. In einer prominenten Nebenrolle: Coca‑Cola

Der Chef kann es einfach nicht glauben: Jeden Morgen, wenn er ins Büro kommt, springen die Leute von ihren Schreibtischen auf. Das Strammstehen ist ihnen einfach nicht abzugewöhnen. „Sitzenmachen!“ ruft C. R. MacNamara und eilt an seinen Schreibtisch.

MacNamara verfolgt ehrgeizige Pläne: Er will Coca‑Cola hinter den Eisernen Vorrang bringen. Ausgerechnet in der heißen Phase des Kalten Krieges. Das ist – natürlich – Stoff für eine Komödie.

Auch deren Regisseur hat große Pläne: Billy Wilder will „den schnellsten Film der Welt machen“, als er nach Berlin kommt, um „Eins, zwei, drei“ zu drehen.

Wir schreiben das Jahr 1961. Deutschland hat die Trümmer des Zweiten Weltkriegs noch nicht ganz beiseite geräumt, dafür aber manches verdrängt („Welcher Adolf?“). Das Wirtschaftswunder ist in vollem Gang. Keine Zeit, sich mit Nebensächlichkeiten aufzuhalten. Es sei denn, sie sehen so bezaubernd aus wie Fräulein Ingeborg, MacNamaras Sekretärin: Liselotte Pulver als deutsche Monroe-Parodie.

„Empfohlene Geschwindigkeit: 100 Meilen pro Stunde in den Kurven, 140 auf gerader Strecke“

„Das Stück muss molto furioso gespielt werden“, schreibt Wilder vorn ins Drehbuch. „Auf heißer Flamme, in halsbrecherischem Tempo. Empfohlene Geschwindigkeit: 100 Meilen pro Stunde in den Kurven, 140 auf gerader Strecke."

Das ist ihm gelungen. „Eins, zwei, drei“ gehört nicht nur zu den besten Filmen des Komödien-Großmeisters. Er verblüfft uns auch heute noch mit seinem enormen Drive. Die Pointen knallen in einem Tempo, dass zwischen den Lachern kaum Zeit zum Atmen bleibt. Ein Klassiker. Und eine der schönsten Nebenrollen für Coca‑Cola.

Coca‑Cola öffnet damals für die Dreharbeiten nicht nur die Türen der Niederlassungen in Berlin-Charlottenburg und Lichterfelde, sondern auch das Büro des Geschäftsführers, in dem James Cagney als C. R. MacNamara regiert. Als der – echte – Geschäftsführer Paul-Gerhard Ritter 28 Jahre später hier einzieht, steht der Schreibtisch immer noch da. 1960/61 aber sind viele froh, wenn sie überhaupt ein Dach über dem Kopf haben: 3500 Flüchtlinge kommen jeden Tag aus der DDR allein nach Berlin.

Beinah alles im Film ist echt. Auch die Bilder aus der „gläsernen Produktion“: Gerade hat man in Lichterfelde extra große Fenster anbringen lassen, damit jeder sehen kann, wie präzise und hygienisch es bei der Abfüllung von Coca‑Cola zugeht.

Nur bei der Zahl der LKW muss nachgeholfen werden, erinnert sich Paul-Gerhard Ritter. Es waren einfach nicht genug da. Deshalb fuhren die Wagen vorn vom Hof und hinten wieder rein.

Und ein prominenter Teil des Berliner Stadtbilds muss nachgebaut werden. Denn noch schneller als der Film verläuft die politische Entwicklung jener Zeit: Mitten in den Dreharbeiten beginnt der Mauerbau. Wilder und sein Team ziehen um nach München. Auf dem Gelände der Bavaria Studios entsteht ein Brandenburger Tor aus Holz und Pappe.

Billy Wilder hat Pech mit diesem Film. Erst durchkreuzt der Kalte Krieg seine Dreharbeiten. Dann floppt er an der Kasse, weil kaum jemand Interesse daran hat, einen Film über das geteilte Berlin ohne Mauer zu sehen. Schon gar nicht einen komischen.

Auch die Musical-Version von „Eins, Zwei, Drei“ wird von historischen Ereignissen überrollt 

„Eins, Zwei, Drei“ ist für Oscars und Golden Globes nominiert und erhält keine einzige Auszeichnung. Auch die Deutschen finden es gar nicht lustig, wie sie hier vorgeführt werden. Die Zeitungen bringen schäumende Verrisse.

Erst Mitte der Achtziger ist eine jüngere Generation in der Lage, darüber zu lachen. Sogar eine Musical-Version kommt am Theater des Westens auf die Bühne. Auch sie wird – Ironie der Geschichte – von historischen Ereignissen überrollt: Wenige Tage nach der Premiere fällt die Mauer.

Auch das erlebt Billy Wilder noch. Wir wissen heute nicht, wovor wir uns mehr verneigen sollen: vor seinem untrüglichen Gefühl für das richtige Tempo oder vor seiner Fähigkeit, über seinen eigenen Schatten zu springen. Wilder lebte bis zur Machtergreifung als Journalist, Drehbuchautor und Filmemacher in Berlin-Schöneberg und verließ das Land „fünf nach zwölf“. Seine gesamte Familie wurde im Holocaust ermordet. Dennoch teilt sein überragender Humor in alle Richtungen aus: Amerikaner, Russen, Deutsche, niemand wird geschont.

Kürzlich hat Liselotte Pulver ihre Memoiren veröffentlicht. Darin erinnert sie sich an die Dreharbeiten:

„Billy Wilder traf ich das erste Mal bei einem Abendessen in Paris, das war lange bevor es zu „Eins, Zwei, Drei“ kam. Wir verstanden uns auf Anhieb, haben viel gelacht, denn Billy hatte einen irrsinnigen Humor.

Als ich hörte, dass Billy dabei war, den Film zu besetzen, sah ich noch einmal eine Chance auf eine Hollywood-Karriere. Billy war einer der besten Regisseure seiner Zeit. Und ich wollte unbedingt, nachdem andere Projekte geplatzt waren, in einem internationalen Film mitspielen.

In München wurde ich zu Probeaufnahmen eingeladen und bekam zur Vorbereitung das Musikstück, zu dem »Fräulein Ingeborg« – so der Rollenname – auf einem Tisch tanzen sollte, den berühmten Säbeltanz von Aram Chatschaturjan. (…)

„Herr Kapellmeister, more Rock’n’Roll!!!“, ruft einer der Russen, bei denen Fräulein Ingeborg mit am Tisch sitzt. Dann setzt die Musik ein, der Säbeltanz. Und in der nächsten Szene tanze ich, im groß gepunkteten, engen Kleid, auf dem Tisch, in jeder Hand eine brennende Fackel, und lasse, angefeuert von den Russen, die Wände wackeln. Und das wortwörtlich und so sehr, dass ein Chruschtschow-Bild aus seinem Rahmen fällt und dahinter ein Stalin-Porträt zum Vorschein kommt. Ja, das war Billys Humor. (…)

Ich habe immer schon gerne Leute kopiert und parodiert. Und in „Eins, Zwei, Drei“ war ich eine reine Parodie auf die Monroe. Marilyn war recht einfach nachzumachen: die wasserstoffblonden Haare, eine Perücke, das enge Kleid, weiß mit schwarzen Punkten, dann hängte man mir zwei Ballons vorne dran, damit auch etwas zum Vorschein kam, und fertig war die Monroe-Kopie. Man musste gar nichts erklären, jeder fühlte sich bei der Frisur, den Bewegungen, dem Kleid an die Monroe erinnert. Und Billy Wilder zeigte mir genau, wie ich es machen sollte, spielte mir jede Szene, jede Geste vor. Er kannte die Monroe natürlich sehr gut, hatte mit ihr schon gedreht. (…)

Was Billy Wilder als Regisseur auszeichnete, war seine unglaubliche Geduld und Akribie. Nichts konnte ihn aus der Ruhe bringen. Er ließ Szenen wieder und wieder drehen, so lange, bis sie in seinen Augen gut genug waren – nein, bis sie perfekt waren! »Once more!«, hieß es jedes Mal, und dabei klimperte er mit ein paar Geldmünzen in seiner Hosentasche – das gehörte zu seinem Markenzeichen. Billy ließ Horst Buchholz eine Szene zehnmal wiederholen, bis sie im Kasten war. Anschließend fragte Horst, ob es denn jetzt besser gewesen sei. »Nein, schneller.« (…)

Eins, zwei, drei erntete erst Jahrzehnte nach unseren Dreharbeiten seine verdienten Lorbeeren und fand Anerkennung bei Publikum und Kritikern – und auch bei der Presse. Der Film hatte einfach ein irrsinniges Pech, zur falschen Zeit gedreht zu werden. Aber heute ist er ein Klassiker, der Humor ist zeitlos.

Als der Film Mitte der Achtziger Jahre wieder in die Kinos kommt, wird er ein Publikumsliebling und auch die Kritiker haben zwischenzeitlich sitzengemacht und sich den Film noch einmal angesehen. So heißt es etwa in der „ZEIT“:  „Noch heute kann man sich mit „Eins, Zwei, Drei“ intelligent amüsieren [...] Kein Kultur-Klischee über Deutsche und Amerikaner, Kommunisten und Kapitalisten wird ausgespart, aber eben so ironisch gespiegelt, wie es nur Wilder, der Berliner aus Hollywood, konnte. Allein wegen Lilo Pulver lohnt es sich, diesen Film [...] später immer wieder anzuschauen.“

Billy Wilder hat uns gezeigt, wie Humor Grenzen und Schicksale überwinden kann. Coca‑Cola ist stolz, ihn dabei unterstützt zu haben. Die Gebäude in Lichterfelde wurden übrigens noch einmal in einem Film gezeigt, der ein ähnlich gelagertes Thema hatte: Wolfgang Beckers „Goodbye, Lenin“.

Für Paul-Gerhard Ritter und die LKW von Coca‑Cola schloss sich die Geschichte im Jahr 1997: Ritter saß mit dem US-Botschafter John Kornblum im Hotel Adlon und schaute auf die erste Tour der Coca‑Cola Weihnachtstrucks. Sie fuhren mitten durch das Brandenburger Tor.

Wir danken dem HOFFMANN UND CAMPE VERLAG für Textpassagen aus: 

Gespräche mit Olaf Köhne und Peter Käfferlein,

272 Seiten, 20,00 Euro