Sven Albrecht

Coca‑Cola und Special Olympics Deutschland: ein starkes Team, seit mehr als 30 Jahren

10/01/2022

Große Ereignisse stehen an. Aber Special Olympics – das ist mehr nur ein Event. Der Inklusions-Gedanke strahlt weit darüber hinaus und verändert nachhaltig die Wahrnehmung und Integration von Menschen mit Behinderung

Herr Albrecht, große Ereignisse werfen ihren Schatten voraus. 2023 finden die Special Olympics World Games in Berlin statt. Wo stehen Sie gerade?

„Alle blicken auf die World Games 2023. Tatsächlich planen wir gerade zwei Großveranstaltungen. Momentan laufen die Anmeldungen für die Nationalen Spiele im nächsten Jahr. Wir haben jetzt schon 4.100 Anmeldungen von deutschen Athletinnen und Athleten zusammen – in insgesamt 20 Sportarten. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Wir brauchen etwa 3.500 Helfende, wir planen eine große Eröffnungs- und Abschlussfeier, die Sportstätten müssen vorbereitet werden, die ganze Logistik. Und dann haben wir natürlich 2023 im Blick, die ganz große Veranstaltung.“

Ist 2022 eine Art Generalprobe?

„Ja, das ist bewusst so gewählt. Bei Veranstaltungen in dieser Größenordnung brauchen wir Testveranstaltungen. Wir haben entschieden, dafür die nationalen Spiele 2022 zu nutzen. Das Organisationskomitee, das die World Games organisiert, plant auch 2022. Die Logistik wird geprüft, die Helfenden werden eingeführt und wir nutzen die Öffentlichkeit. Das ist gerade jetzt in Zeiten von Corona wichtig. Wir brauchen für das Thema erst mal wieder eine öffentliche Wahrnehmung.“

Wie viele der Athletinnen und Athleten treten 2023 wieder an?

„Von den etwa 4.100 Sportlerinnen und Sportlern, die 2022 da sind, werden in der deutschen Mannschaft von 2023 etwa 400 dabei sein. 2022 gilt als Qualifikation. 2023 werden wir in Berlin zusätzlich um die 7.000 Athletinnen und Athleten aus bis zu 190 Nationen begrüßen.“

Nun wird Corona 2022 noch nicht ganz vorbei sein. Wie planen Sie unter den Bedingungen eine Großveranstaltung?

„Es geht nicht nur um die Veranstaltung selbst. Wir brauchen die Kraft der öffentlichen Wahrnehmung. Wir müssen auf gesellschaftliche Ziele und Themen aufmerksam machen. Am Ende geht es darum, dass wir viel mehr Teilhabe für unsere Athletinnen und Athleten und insgesamt für Menschen mit Behinderung erreichen müssen. Das ist jetzt in der Zeit mit Corona ein riesiges Thema. Wir müssen die Aufmerksamkeit der Spiele nutzen, um das Thema Teilhabe wieder mehr in die Öffentlichkeit zu bekommen. Es gibt zum Beispiel das Problem, dass viele Menschen mit Behinderung noch nicht wieder in geregelte Trainingsbedingungen zurückkehren können. Das wird in Sportstätten diskutiert und in Organisationen für Menschen mit Behinderung. Es muss aber stärker in die Öffentlichkeit. Wir haben Athleten, die seit zwei Jahren praktisch nicht im Training sind. Das wird massive Auswirkungen auf die Vorbereitung und auf die Wettbewerbe haben. Deshalb müssen wir schon jetzt auf das Thema hinweisen.“

Warum sind die SOD-Athleten noch nicht wieder im Training?

„Da gibt es unterschiedliche Schwierigkeiten. In den Werkstätten brauchte man wegen der Hygieneregeln mehr Platz, Sporthallen wurden deshalb zu Arbeitsplätzen umfunktioniert. Außerdem gehören Menschen mit geistiger Behinderung überproportional zur Risikogruppe, weil bei ihnen häufiger Herz- und Kreislauferkrankungen auftreten. Die Athletinnen und Athleten können zwar inzwischen wieder in Einzelsportarten trainieren, aber in Mannschaftssportarten, in denen sich Gruppen mischen, beim Fußball, Basketball, Handball, sind nur wenige Trainingsmöglichkeiten gegeben.“

Wie ist es mit Hygienemaßnahmen, gibt es da viele Unterschiede?

„Die Situation ist in vielen Bereichen anders. Jeder, der eine Oma oder einen Opa in einem Pflegeheim hat, konnte sehen, dass keine Besucher mehr reindurften. Das war in Wohngruppen für Menschen mit geistiger Behinderung ähnlich. Es hat große Auswirkungen, wenn soziale Kontakte fehlen und wenn Tagesabläufe sich komplett ändern. Wenn dann der Sport wegfällt, wird es noch schlimmer. Es gehört zur großen Kraft des Sports, dass Sportler mehr Kontakte haben. Inzwischen hat sich die Wohnsituation wieder gebessert. Soziale Isolation und fehlende Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen bleibt aber ein Thema bei Menschen mit geistiger Behinderung. Es gibt ohnehin viele Barrieren, das hat sich durch Corona verstärkt. Sportvereine müssen sehen, wie sie ihr Angebot wieder hochfahren. Das hängt an vielen Dingen. Hygienebestimmungen gehören dazu, aber auch Fehlen von ehrenamtlichen Helfern ist spürbar. Da sind inklusive Angebote vielerorts zum Erliegen gekommen.“

Hatte Corona auch positive Auswirkungen in Ihrem Bereich?

„Es fällt mir schwer, Positives zu finden. Viele Dinge, die gesamtgesellschaftlich genannt werden – dass Menschen sich auf Werte besinnen – das war für Special Olympics ohnehin schon maßgeblich. Das menschliche Miteinander ist hier sehr besonders. Das ist auch der Grund, aus dem sich so viele Menschen, auch ehemalige Athleten, bei uns engagieren. Was wir viel gespürt haben, sind andere Barrieren. Nehmen wir das Thema Digitalisierung. Viele Menschen mit geistiger Behinderung haben keine Teilhabe an digitalen Angeboten. Es mangelt an Hardware, auch weil die finanzielle Situation oft schwieriger ist. Digitale Angebote sind zudem oft nicht barrierefrei. In dem Bereich muss massiv nachgeholt werden. Daran arbeiten wir. Wir haben eine App entwickelt und eine Homepage in leichter Sprache mit Erklärvideos um einen Zugang zu schaffen.“

Sie erzählten von dem starken Miteinander. Es gibt einen Spot über die Leidenschaft bei den Wettbewerben. Da gibt es keine Defizite, nur Vorfreude …

„Es geht bei uns nicht um Defizite. Das ist es, was wir herausstellen wollen. Das fängt schon mit der Sprache an. Wenn wir davon sprechen, dass wir „helfen“, bedeutet das, dass jemand hilfsbedürftig ist. Es geht bei unserer Organisation darum, dass Menschen mit geistiger Behinderung Teil dieser Gesellschaft sind und einen Beitrag zur Entwicklung der Gesellschaft leisten. Der Blick ist in unserer Gesellschaft oft darauf gerichtet, was man nicht kann. Das ist aber nicht unsere Aussage – schon gar nicht bei unseren Sportveranstaltungen. Jeder, der die Eröffnungsveranstaltung mit 10.000 Leuten besucht, versteht das sofort. Das ist eine besondere Atmosphäre. Da steckt viel drin, wovon wir alle etwas lernen können. Die Kampfrichter und die Schiedsrichterinnen bekommen bei uns auch mal ein Dankeschön und eine Umarmung. Das ist bei anderen Sportveranstaltungen anders.“

Was können wir lernen?

Diese Veranstaltungen transportieren Werte. Es geht um Selbstbewusstsein, Selbstbestimmung; darum, den anderen zu akzeptieren, wie er ist, Dankbarkeit. Das sind Werte, die wir in unserer Gesellschaft oft suchen. Bei unseren Veranstaltungen haben wir das. Menschen, die einmal dabei waren, verlieren wir nicht mehr. Wer das erlebt hat, will wieder mitmachen. Schwierig ist der erste Schritt. Wir müssen die Gesellschaft davon überzeugen, dass hier etwas Tolles stattfindet und dass es sich lohnt dabei zu sein.“

Überzeugen Sie uns: Warum sollen wir zu den Spielen gehen?

„Es hängt davon ab, wie man dabei sein möchte: Als Zuschauer, als Helfende, als Teil vom Ganzen? Erst mal ist es eine großartige Veranstaltung. 2023 wird ein Welterlebnis mit vielen tausend Sportlerinnen und Sportlern. Es gibt Wettbewerbe, die man sich ansehen kann. Es gibt aber auch ein Mitmachangebote, Veranstaltungen im Olympiastadion, ein Abschlussfest am Brandenburger Tor. Als Zuschauer kann man den Sportlern nahekommen, jeder kann etwas ausprobieren. Es gibt viele Mitmachmöglichkeiten, das unterscheidet uns von anderen Sportveranstaltungen.“

Und warum sollten sich Freiwillige melden?

„Bei den Helfenden ist es der direkte Kontakt zu den Sportlerinnen und Sportlern, das Gefühl, Teil des Ganzen zu sein. Bei den World Games kommt die internationale Zusammenarbeit dazu, die das spannend macht. Mit unterschiedlichen Teams zusammenzuarbeiten, mit Sportlerinnen und Sportlern aus den USA und aus den afrikanischen und asiatischen Ländern. Die ganze Welt ist da.“

Was sind Klischees, denen Sie oft begegnen?

„Was wir viel erleben, ist dieses ‚ach, das ist ja schön, dass die beschäftigt sind‘. Wir wollen, dass unsere Athletinnen und Athleten als Sportler gesehen werden. Das ist ein Wettbewerb und den nehmen die sehr ernst. Diese Haltung: ‚Ach, das machen die? Das können die? Ist ja toll‘, ist einfach unpassend. Es ist mir wichtig, dass es eine andere Wahrnehmung gibt. Die Haltung zeigt sich in kleinen sprachlichen Momenten. Wenn es in der Berichterstattung heißt, dass die das ‚trotz Behinderung‘ schaffen, oder wenn das Leid im Vordergrund steht, nicht die Leistung. Natürlich gibt es Herausforderungen, das darf man auch nicht kleinreden. Aber jeder, der zur Eröffnungsfeier geht, wird sich die Frage nicht stellen: Ist das lebenswert oder nicht? Es steckt viel Kraft darin und Emotionalität, viel Wollen und Können. Den Menschen wird zu wenig zugetraut. Das ist immer wieder spürbar.“

Haben Sie ein Beispiel?

„Nehmen wir das bürgerschaftliche Engagement. Wir wollen, dass Menschen mit geistiger Behinderung selbstverständlich die Möglichkeit haben, sich zu engagieren. Sie sind ein Teil der Gesellschaft und können sich einbringen. Deshalb ist unser Volunteerprogramm natürlich inklusiv.“

Coca‑Cola und Special Olympics arbeiten schon lange zusammen. Was bedeutet diese Kooperation für Sie?

„Die Kooperation ist uns extrem wichtig, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Coca‑Cola war der erste Kooperationspartner von Special Olympics, schon in den 60ern haben beide Partner zusammengearbeitet. Heute ist Coke in vielen Ländern dabei. Hier in Deutschland läuft die Zusammenarbeit seit 1991 – Coca‑Cola ist eine der wenigen Marken, die uns wirklich aktiv unterstützt. Dabei geht es nicht nur um Sponsoring, sondern auch um inhaltliche Projekte, die sich dem inklusiven Gedanken im Alltag verschreiben. ‚Gemeinsam läuft‘s besser‘ gibt es schon seit 2012. Durch Coca‑Cola werden wir außerdem in der Öffentlichkeit anders gesehen.“

Spielt es eine Rolle, dass Coke als coole Marke wahrgenommen wird?

„Wir wollen der Veranstaltung ein anderes Image geben. Die Marke Coca‑Cola passt perfekt dazu. Cooler, freier, andere Wege, andere Ideen. Dadurch erreichen wir Leute, die wir sonst nicht bekommen. Wir haben viel mit Klischees zu tun. Wenn wir über die Veranstaltung sprechen, sehen wir, dass die Leute unterschätzen, welche Tragweite das hat. Die denken, wir machen eine nette kleine Sportveranstaltung für Behinderte. Tatsächlich geht es um etwas Anderes. Wir haben uns vorgenommen, eine neue ‚Unified Generation‘ aufzubauen, in der es selbstverständlich ist, dass man gemeinsam groß wird. Unsere Kooperation funktioniert sehr gut. Coca‑Cola hat Ansprüche im Bereich Diversity und Nachhaltigkeit, da ist die Partnerschaft mit Special Olympics sehr authentisch.“

Gibt es etwas, worauf Sie sich bei den Veranstaltungen besonders freuen?

„Schön finde ich immer die Unified-Wettbewerbe bei denen Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam antreten. Ich schaue mir gerne Basketball an, da sieht man, wie das umgesetzt wird. Bei den Winterdisziplinen mag ich die Langlaufkurzstrecke, da sind häufig Menschen dabei, die auch eine körperliche Behinderung haben. Wenn man sieht, was für eine Kraft dabei ist, was für ein Wille, das finde ich extrem beeindruckend.“

Sie meinten eingangs, auch wenn die Großereignisse anstehen, so sehr geht es darum gar nicht. Wie meinen Sie das?

„Für Special Olympics ist es wichtig, dass wir eine Alltagsbewegung sind. Wir wollen eine dauerhafte Teilhabe in den Kommunen erreichen. Die Veranstaltungen sind Katalysatoren, die sollen den Effekt verstärken. Aber unsere Ziele können wir nur erreichen, wenn wir es schaffen, in den Kommunen aktiv zu sein. Das ist unsere Kernaufgabe und da erleben wir, dass Coke uns bei der Umsetzung sehr unterstützt. Bei den Weltspielen gibt es das Nachhaltigkeitsprogramm: ‚170 Nationen, 170 inklusive Kommunen‘. Unser Ziel ist es, nachhaltige inklusive Strukturen aufzubauen. In der Berichterstattung liegt der Fokus oft auf den Events – dabei ist die nachhaltige Wirkung noch wichtiger.“

Wie sieht die aus?

„Die Spiele sind auf diesem Weg ein Schritt aber definitiv nicht der Endpunkt. Sonst hätten wir nichts erreicht. Auch deshalb richten wir unsere Partnerschaften mit Sponsoren immer für eine längere Zeit aus und nicht nur auf die Finanzierung einer Veranstaltung. Wir stehen für die Vision einer inklusiven Gesellschaft durch die Kraft des Sports. Daran müssen wir gemeinschaftlich arbeiten.“